In weißen T-Shirts mit der Aufschrift „Ich weiß, was ich will“ stehen die Auszubildenden Michelle und Andreas vor einer grünen Schultafel. Auf der saust mal ein animiertes Flugzeug vorbei, mal ist eine Landkarte zu sehen, und am Ende werden den beiden Azubis sogar virtuelle Doktorhüte aufgezeichnet. Passend zu dem, was ein Sprecher aus dem Off sagt, versuchen die beiden mit Handgesten zu verdeutlichen, warum man eine Ausbildung bei der Zufall logistics group starten sollte. Die Göttinger Spedition, die mit Standorten in der Metropolregion FrankfurtRheinMain vertreten ist, lässt Berufseinsteiger aus dem eigenen Haus für sich werben – unter anderem in solchen Spots auf Youtube und einer nichtöffentlichen Intranetseite.

Der mittelständische Transport- und Logistikdienstleister will damit als Ausbildungsstätte noch bekannter werden und die Bewerberzahlen stabilisieren. Mehrere betriebliche Analysen hatten ergeben, dass die Bevölkerungs- und Geburtenraten in den Gebieten der Niederlassungen sinken und die Personalplanung daher stärker als bisher darauf abzielen musste, junge Talente für sich zu gewinnen. Das Unternehmen, das unter anderem Kaufleute für Speditions- und Logistikdienstleistungen sowie Fachkräfte für Lagerlogistik ausbildet, steht mit seinen Sorgen um den Nachwuchs nicht allein da.

Der Bedarf an Fachkräften ist seit Jahren immens – vor allem in der Logistik, mit 235 Milliarden Euro Umsatz und rund 2,9 Millionen Beschäftigten die drittgrößte Wirtschaftsbranche Deutschlands. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zeigt, dass Logistik und Sicherheit zu den Berufsfeldern mit überdurchschnittlich starkem Engpass zählen. Vor allem im Bereich „Triebfahrzeugführung Eisenbahn“ gibt es mehr Ausbildungsstellen als Bewerber. Dem entspricht das jüngste Umfrageergebnis der Bundesvereinigung Logistik (BVL) zum Logistik-Indikator: Unternehmer nennen mit Abstand den Fachkräftemangel als größtes Risiko für die positive weitere Entwicklung ihrer Geschäftstätigkeit.

Nachwuchsmangel: Rund 39 Prozent der Beschäftigten sind 50 Jahre oder älter
 

„Der demografische Wandel in Deutschland führt insgesamt zu einer Überalterung und Schrumpfung der Gesellschaft. Dieser Trend ist in der Logistik noch deutlich sichtbarer als im Durchschnitt“, heißt es in einer aktuellen Studie der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services (SCS). Die Autoren Annemarie Kübler, Stefan Distel und Uwe Veres-Homm haben darin die Logistikbeschäftigung in Deutschland untersucht. Demnach sind hier nur acht Prozent der Beschäftigten unter 25 Jahre alt. Vor allem bei Transport- und Zustellberufen wie Lkw-Fahrer ist man von einer Verjüngung weit entfernt: Hier sind gerade mal drei Prozent jünger als 25.

Entsprechend hat das IW herausgefunden, dass das Berufsfeld Logistik und Sicherheit nach Landwirtschaft und Gartenbau den zweithöchsten Anteil älterer Beschäftigter aufweist: 39 Prozent der Fachkräfte sind mindestens 50 Jahre alt. Künftig sei hier besonders viel Ersatz nötig.

Eine Riesenaufgabe. Denn einen wesentlichen Grund für die schwierige Personalakquise sehen die Fraunhofer-Autoren nicht nur in der demografischen Entwicklung: Die Logistik sei zu wenig attraktiv. „Die Arbeitsbedingungen machen logistische Berufsbilder nicht zum Traumberuf junger Nachwuchskräfte“, bemängeln sie. Zudem hätten sich die Berufsbilder auf allen Ebenen der Logistik in den vergangenen Jahren verändert, das Aufgabenspektrum sei größer geworden und die Anforderungen in der Qualifikation seien daher gewachsen. Andererseits hätten noch heute 22 Prozent der Logistikbeschäftigten keinen Berufsabschluss, während der Durchschnitt über alle Branchen bei 13 Prozent liege. Daher sehen die Experten es als erforderlich an, dass sich die Qualifikationsstruktur verbessert.

Der Bedarf an höher qualifizierten Kräften macht sich auch in der Metropolregion FrankfurtRheinMain bemerkbar, die durch ihre zentrale Lage einer der führenden europäischen Standorte für Logistik- und Verkehrsdienstleistungen ist. Mehr als 250 000 Personen sind hier in rund 12 200 Logistikunternehmen beschäftigt, sodass die Metropolregion nach Hamburg die höchste Beschäftigungskonzentration aufweist. Der Hauptteil der Betriebe findet sich im Gebiet zwischen Frankfurt, Darmstadt und Wiesbaden rund um den Airport Frankfurt. 

Quotation mark

Die Logistik muss an ihrem Image arbeiten.

Seit vergangenem Jahr hat besonders die Nachfrage nach Arbeitskräften am Flughafen zugenommen, berichtet Angela Köth von der Agentur für Arbeit Hessen. Das betrifft vor allem Stellen aus dem Bereich Spedition, dort allein fehlen 256 Luftfrachtabfertiger und 50 Berufskraftfahrer. „Die Nachfrage ist hoch und kann über die Agenturen kaum gedeckt werden“, sagt sie. Ein Grund dafür seien unter anderem die hohen Anforderungen, die an Mitarbeiter gestellt würden. „Fehlende Schulabschlüsse, Berufsausbildung und Sprachkenntnisse erschweren die Vermittlungserfolge“, so Köth.

Um mehr Kräfte für die Logistik in der Metropolregion vermitteln zu können, forcieren die örtlichen Agenturen Qualifizierungsangebote in der Lagerlogistik. So finanzieren sie etwa, sofern die fachlichen Voraussetzungen der Bewerber stimmen, Umschulungen zur Fachkraft für Lagerlogistik und werben bei Arbeitgebern für die Ausbildungsbereitschaft. Köth appelliert an diese, dabei das sogenannte Spätstarter-Programm zu nutzen, das Arbeitslosen im Alter bis zu 35 Jahren eine Chance zur Erstausbildung bietet. Bei den Berufskraftfahrern sieht Köth noch einen anderen Weg: „Die Anteile von Frauen und Teilzeitbeschäftigten sind gering, hier liegen möglicherweise Potenziale, um zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen.“

Die Fraunhofer-Experten halten generelle Handlungsansätze für ebenfalls geboten: „Die Logistik muss an ihrem Image arbeiten“, erklären sie in ihrer Studie. Andernfalls könne sich das andauernde Wachstum der Branche „als endlich“ herausstellen. Um logistische Berufsbilder attraktiver zu gestalten und den Fachkräftemangel zu mildern, schlagen sie vor, neue Arbeitskonzepte sowie Automatisierungstechnologien einzusetzen und den deutschen Arbeitsmarkt weiter zu öffnen. „Alle Akteure – die Politik, die Logistikwirtschaft bis hin zu den regionalen Entscheidern vor Ort – stehen hier vor einer zentralen Herausforderung.“

Das haben viele Betriebe bereits erkannt und suchen deshalb gezielt den Kontakt zu möglichen Mitarbeitern – zum Beispiel über die BVL-Initiative „Tag der Logistik“, an dem Unternehmen in Deutschland und Europa  Interessierten einen Einblick in ihre logistischen Tätigkeiten geben. „Es herrscht nach wie vor ein eingeschränktes Bild von der Logistik“, beobachtet Pressereferentin Anja Stubbe. „Die Akteure in der Logistik müssen gemeinsam daran arbeiten, die spannenden Facetten ihres Arbeitsbereiches bei potenziellen Arbeitnehmern bekannt zu machen.“


Tanzende Brummifahrer bei YouTube lassen die Bewerberzahlen steigen
 

Auf diesem Weg ist der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) ein Stück vorangekommen – mithilfe der Kampagne „Mach was Abgefahrenes!“. Auf der gleichnamigen Webseite können sich potenzielle Nachwuchskräfte über die Logistikbranche informieren. Knapp 26 000 Mal wurde dort bisher der Youtube-Clip „Der Rasthof wird zum Dancefloor!“ geklickt, in dem zwei Brummifahrer zu Techno tanzen, rhythmisch begleitet von flackernden Scheinwerfern der umstehenden Lastwagen. Das schafft Aufmerksamkeit. „Die Rückmeldung junger Menschen ist überwiegend positiv“, erzählt BGL-Hauptgeschäftsführer Prof. Karlheinz Schmidt, „wenngleich der eine oder andere alte Hase sich noch nicht mit dieser Art der Werbung anfreunden kann“.

Er berichtet weiter, dass man seit Start der Kampagne im Jahr 2013 immerhin den „stetigen Abwärtstrend“ bei den Ausbildungsplatzbewerbern brechen konnte. So sei die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Transportlogistikgewerbe von 2012 auf 2013 noch um 6,2 Prozent auf 27 203 zurückgegangen. 2014 waren es dann nur noch 0,6 Prozent weniger. „Obwohl die Seite jetzt schon bald zwei Jahre im Netz steht, bekommen wir dort noch immer laufend Anfragen“, erzählt Schmidt.

Um Logistikberufe attraktiver zu machen, sind neben einer besseren Entlohnung angenehmere Bedingungen bei Unterwegsaufenthalten sowie an den Be- und Entladerampen von Industrie und Handel ebenso wichtig. Und nicht zuletzt lässt auch die soziale Akzeptanz des Berufs noch zu wünschen übrig. Der Mittelständler Markus Bappert nennt weitere Punkte wie einen guten Umgangston sowie moderne und bequeme Fahrzeuge des Arbeitgebers. Der Geschäftsführer der Spedition Meyer Logistik und ihrer Schwestergesellschaft Meyer Quick Service Logistics im hessischen Friedrichsdorf betont aber auch: „Mit einzelnen Maßnahmen wird man kein attraktiver Arbeitgeber für die Fahrer. Das Gesamtpaket muss stimmen – und vor allem die Haltung der kaufmännischen Mitarbeiter den Fahrern gegenüber. Dann spricht sich das auch schnell herum.“

Gesetze, Software, Zoll – lebenslanges Lernen ist auch für Logistiker ein Muss
 

Um gute Fahrer zu halten, legt Bappert großen Wert auf die Weiterbildung. So wurde eine E-Learning-Plattform eingerichtet, auf der für den Arbeitsalltag relevante Informationen nach dem sogenannten Konzept des Adventure based Learning – digitales, spielbasiertes Lernen – trainiert und verinnerlicht werden können. „Das unterstützt die Fahrer dabei, gute Qualität beim Kunden abzuliefern und ihre Arbeit entspannt zu machen“, erläutert Bappert. Damit Fahrer aufsteigen können, gibt es bei Meyer Logistik das Prinzip der F1- bis F3-Fahrer: Die Mitarbeiter starten als Basisfahrer F1, Fahrer der Kategorie F2 können neue Kollegen einarbeiten, F3-Fahrer übernehmen besondere Aufgaben rund um das Thema Fahreraus- und -weiterbildung. Freie Disponentenstellen wurden in der Vergangenheit auch aus dem Pool der F3-Fahrer besetzt. Das passiere derzeit aber nicht, so Bappert, „weil der Arbeitsmarkt für Fahrer bereits jetzt so eng ist“.

Bei der BVL sieht man „lebensbegleitendes Lernen“, wie Stubbe es formuliert, für die gesamte Logistikbranche als essenziell an: „Der Arbeitgeber muss das sowohl fordern als auch fördern“, sagt sie. Dynamik und Komplexität der Logistik seien hoch. „Ständig ändern sich Gesetze, Regularien und Zollbestimmungen, neue Software ist zu beherrschen, neue Kulturen sind zu verstehen“, erklärt sie.

Stubbe empfiehlt zudem, sich als Betrieb auf die veränderten Werte der Nachwuchskräfte einzustellen: Sie hätten oft eine andere Einstellung zum Arbeitsleben als der Großteil der jetzigen Logistikentscheider und Unternehmenslenker. Ein vertrauensvolles, möglichst familiäres Arbeitsumfeld sowie eine ausgeglichene Work-Life-Balance seien für viele von ihnen ein Muss. Stubbe: „Unternehmen, die Fachkräfte für sich gewinnen wollen, lassen diese neue Kultur nicht nur zu, sondern nehmen sie auch an und leben sie im besten Fall sogar vor.“

Wie wichtig eine offene Unternehmenskultur ist, stellt man auch bei der Zufall logistics group fest. Eine aktuelle Mitarbeiterbefragung ergab, dass man diese im Unternehmen noch mehr stärken müsse und weiter an einer konstruktiven Fehlerkultur zu arbeiten sei. Insgesamt stieg der sogenannte Mitarbeiter-Commitment-Index, der die Bindung der Mitarbeiter ans Unternehmen erfasst, aber deutlich gegenüber der Befragung von 2011 an. Ein Grund: Die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten haben sich klar verbessert.

Die Kampagne mit den Auszubildenden vor der Tafel hat ebenfalls gefruchtet. Entgegen dem Branchentrend erhielt Zufall in den vergangenen Jahren kontinuierlich mehr Bewerbungen, 2014 allein 30 Prozent mehr als 2013. Insgesamt 59 junge Leute wurden eingestellt und damit – bis auf eine – alle Ausbildungsstellen besetzt. Geschäftsführer Peter Müller-Kronberg: „Darauf sind wir stolz.“

Drei Fragen an…

Alfred Clouth, Präsident der Industrie- und Handelskammer Offenbach am Main

Ihr aktueller IHK-Fachkräftemonitor zeigt im Branchenvergleich, dass in Verkehr und Transport besonders viele Fachkräfte fehlen. Das ist schon seit Jahren der Fall. Mit welchen Maßnahmen versucht die Branche, dieses Problem einzudämmen? 

Der Mangel an Fachkräften in der Logistik ist zwar leicht rückläufig, jedoch wird er auch in den kommenden Jahren fortbestehen. Unternehmen begegnen ihm unter anderem durch das verstärkte Angebot von Ausbildungsplätzen, die allerdings immer schwerer zu besetzen sind. So ist die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplatzbewerber 2015 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 17 Prozent zurückgegangen. 

In einigen hessischen Landkreisen sind deshalb Fachkräfteentwickler im Einsatz. In Ihrer Region übernimmt die Aus- und Weiterbildungsberatung der IHK diese Aufgabe. Welche Resonanz melden Ihnen die Betriebe, die Logistikkräfte benötigen, auf dieses Engagement zurück? 

Wir stellen ein wachsendes Interesse der Betriebe fest – nicht nur an Ausbildung, sondern auch an Weiterbildung für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Sollten die Unternehmen in FrankfurtRheinMain offener sein, Logistikfachkräfte aus dem Ausland anzuwerben?

Die Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland ist in der Tat ein lohnender Ansatz, wobei die Herausforderungen für eine gelingende Integration dieser Fachkräfte zum Beispiel wegen fehlender Deutschkenntnisse besonders kleinere Unternehmen überfordern können. Generell gilt: Die Gewinnung von Fachkräften ist auch für die Logistikbranche eine zwingende Voraussetzung, um im Wettbewerb zu bestehen. Gelingt dies nicht, sind Unternehmen in ihrer Existenz bedroht.

Alle aktuellen Termine der Mittelstandstage finden Sie hier