Die Arbeitsmarktzahlen mit einer bundesweiten Arbeitslosenquote von knapp unter sieben Prozent legen seit 2013 den Schluss nahe, dass bei Bedarf nach wie vor ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Doch Vorsicht: Dies sind branchenfremde Kräfte, die in ihr neues Aufgabenfeld erst eingearbeitet werden müssen und in dieser Phase nicht die volle Produktivität erbringen. Vor diesem Hintergrund und dem sich anbahnenden demografischen Wandel stellt sich Unternehmern zunehmend die Frage, ob sie Nachwuchskräfte selbst komplett ausbilden oder diese weiterhin nur einarbeiten sollten. 

 

Warum bilden Betriebe teilweise nicht selbst aus?

Nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung (bibb) beteiligten sich im Jahr 2020 deutschlandweit etwa 19,4 Prozent aller Betriebe an der Ausbildung junger Menschen im dualen System. Der Trend der leicht rückläufigen Ausbildungsbetriebsquote hält damit weiter an.

Für viele Betriebe ist die Frage, ob sie selbst ausbilden, eine schlichte Kosten-Nutzen-Rechnung. Wie das bibb aus dem Ausbildungsjahr 2017/18 ermittelte – im Januar 2023 immer noch die jüngste Erhebung zu diesem Thema –, beliefen sich die Bruttokosten je Auszubildenden im Schnitt auf jährlich 20.855 Euro – 16 Prozent mehr als noch fünf Jahre zuvor. In diesen Betrag sind neben Personalkosten für Azubis und Ausbilder auch sämtliche anderen Kosten eingerechnet, etwa der Unterhalt und die Einrichtung von Lehrwerkstätten oder Lern- und Lehrmaterialien. Dieser Summe dürfte für das Jahr 2023 nochmals deutlich ansteigen.

Demgegenüber steht die produktive Leistung der Azubis, die 2017/2018 bei 14.377 Euro pro Jahr lag. Das bedeutet: Im bundesweiten Durchschnitt müssen die Betriebe für jeden Auszubildenden Nettokosten von 6.478 Euro ausgleichen. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Branchen und einzelnen Betrieben. Immerhin erwirtschaften etwa 28 Prozent der Azubis bereits während der Ausbildung einen Nettoertrag. Für alle anderen Betriebe lohnt sich die Ausbildung erst mittel- bis langfristig.

 

Warum sollten Betriebe selbst ausbilden?

Vor allem Betriebe aus Branchen, in denen ein Mangel an Fachkräften vorhersehbar beziehungsweise bereits zum Problem geworden ist, wollen auf die Ausbildung der eigenen Nachwuchskräfte nicht verzichten. Das gilt umso mehr für kleine und mittlere Unternehmen sowie für Betriebe, die individuelle Stücke in kleinen Auflagen produzieren oder sehr spezifische Dienstleistungen anbieten. Für sie sind das Wissen und der Erfahrungsschatz der Mitarbeiter das wichtigste Kapital für anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg.

Weitere positive Faktoren relativieren die Kosten für die Ausbildung zusätzlich:

  • Selbst ausgebildete Nachwuchskräfte entsprechen den eigenen Anforderungen am besten.
  • Weil die Auszubildenden neben dem offiziellen Lehrstoff innerbetriebliches Wissen vermittelt bekommen, sind vergleichbare Kräfte nicht auf dem Arbeitsmarkt verfügbar.
  • Langfristig ist die Fluktuation selbst ausgebildeter Arbeitnehmer geringer, weil sie enger an den Betrieb gebunden sind.

Vor allem der letztgenannte Punkt ist ein wichtiger Faktor für Unternehmen, die sich für die Ausbildung eigener Kräfte entscheiden. Angelernte Kräfte sind viel eher bereit, ein Unternehmen zu verlassen, selbst wenn sie nur geringe Vorteile dadurch haben wie einen etwas höheren Lohn. Ihnen fehlt oft die Perspektive, weil sie "nur" angelernt wurden und auch seltener an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung teilnehmen. Dieser Aspekt kann sich im ungünstigsten Fall negativ auf das Unternehmen auswirken: Herrscht in einem Betrieb eine hohe Fluktuation, sinkt mit großer Wahrscheinlichkeit die Produktivität, während gleichzeitig die Fehlerquote ansteigt.

 

Darf jeder Betrieb ausbilden?

Betriebe, die ausbilden wollen, müssen sich an den Vorschriften aus dem Berufsbildungsgesetz und dem Jugendarbeitsschutzgesetz orientieren. Vor allem sollte der jeweilige Betrieb auch von der Ausstattung her als Ausbildungsstätte geeignet sein. Auf acht Fachkräfte sollten nicht mehr als drei Auszubildende kommen. Bei größeren Betrieben gilt die Faustregel: Für je drei weitere Fachkräfte kann jeweils ein Auszubildender eingestellt werden. Können einige Bereiche nicht innerhalb des Betriebes vermittelt werden, lässt sich dieses Defizit durch eine überbetriebliche Ausbildungsstätte lösen. 

Natürlich muss ein Unternehmen außerdem über eine ausreichende Zahl von Ausbildern verfügen. Wird ein Betreuer ausschließlich für die Ausbildung eingesetzt, kann er bis zu 16 Lehrlinge coachen. Nimmt er gleichzeitig auch weitere Aufgaben wahr, sollte er sich maximal um drei Azubis kümmern. Ein ausbildendes Unternehmen kann nur dann einen Ausbilder bestellen, wenn er eine fachliche Eignung vorweisen kann. Diese liegt dann vor, wenn die betreffende Person selbst einen Abschluss im Ausbildungsberuf hat. Seine arbeits- und berufspädagogische Eignung weist der Ausbilder über die Ausbilder-Eignungsprüfung nach. Auf diese kann verzichtet werden, sofern der Ausbilder die Meisterprüfung abgelegt hat – der Hintergrund: Die Ausbilder-Eignungsprüfung ist Teil der Meisterprüfung.

 

Fazit: Die meisten Unternehmen bevorzugen angelernte Kräfte

Weil die Ausbildung von Nachwuchskräften relativ teuer und für das jeweilige Unternehmen mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden ist, bevorzugen viele Unternehmen angelernte Kräfte. Eine betriebliche Ausbildung bietet jedoch einige Vorteile, beispielsweise eine engere persönliche Bindung an das Unternehmen. Das schätzen vor allem Betriebe, deren wichtigstes Kapital das Wissen und die Erfahrung der eigenen Mitarbeiter sind. Somit ist die Ausbildung junger Mitarbeiter eine nachhaltige Investition in die Zukunft eines Unternehmens.