Herr Motzko, ohne effiziente digitale Prozesse geht es heute in einem Unternehmen nicht mehr – oder sehen Sie das anders? 

Christian Motzko: Das kommt darauf an, was man unter digitalen Prozessen versteht. Während früher die Digitalisierung primär auf den Arbeitsplatz und die Vernetzung der Arbeitsplätze (Hard- und Software) untereinander bezogen war, liegt der Schwerpunkt heute und zukünftig bei der Vernetzung des Wissens (sprich der User). Konkret geht es darum, bestehendes Wissen und Know-how zu speichern, zu strukturieren, zu aggregieren und für alle verfügbar zu machen. Das schließt mit ein, dass die User auch entsprechend effizient miteinander kommunizieren können, unabhängig von Ort und Zeit. Hierfür sind digitale Lösungen aus meiner Sicht unabdingbar. 

Stichwort mehr Produktivität: Wo stößt Software nach Ihrer Erfahrung an Grenzen?

Aus der Vielzahl von Beratungsprojekten mit unseren Kunden wissen wir, dass die Produktivität in Unternehmen im Wesentlichen von folgenden Faktoren beeinflusst wird:

  • Führung
  • Prozesse und Schnittstellen
  • Teamklima
  • Kommunikation

Die Vielzahl von Softwarelösungen verspricht an diesen Stellen Effizienzvorteile und Planungssicherheit. Diese Wirkung kann die Software jedoch nur dann entfalten, wenn die Organisation bereits gewisse Grundvoraussetzungen erfüllt. Hierzu ein paar Beispiele:
 

  • Ausreichende Führungsleistung der Vorgesetzten (z. B. Vorbildrolle, Leistungsmanagement)
  • Klarheit der Mitarbeiter über ihre Zuständigkeiten und Handlungsfreiräume 
  • Klare und funktionierende abteilungs- und funktionsübergreifende Schnittstellen
  • Hohes Maß an Offenheit und Kritikfähigkeit

Zudem darf man sich nicht erhoffen, dass durch die Verbesserung eines einzelnen Aspektes – z. B. der Kommunikation – mögliche Potenziale in anderen Aspekten kompensiert werden können. Denn Produktivitätssteigerungen treten nur dann auf, wenn alle Faktoren ineinandergreifen und aufeinander aufbauen. Die beste Software kann die Kommunikation nicht erleichtern oder optimieren, wenn das Arbeitsklima ungünstig ist oder ineffiziente Prozesse ohnehin zu großen Reibungsverlusten führen. 

Das bedeutet, Software kann sicherlich dabei helfen, funktionierende Abläufe und Prozesse noch effizienter und produktiver zu machen. Naiv wäre jedoch die Behauptung, eine Software könnte grundsätzliche Potenziale oder Fehler in der Organisation kompensieren bzw. beseitigen. 

Wird die ‘gute alte persönliche Teamarbeit’ unterschätzt? Und kann Kommunikation – etwa über Video – die Zusammenarbeit von Angesicht zu Angesicht ersetzen?

Das hängt von der Unternehmenskultur ab und den Menschen, die darin arbeiten. Für viele Unternehmen und ihre Mitarbeiter ist es heute völlig normal, mit den Team-Kollegen in anderen Ländern und Kontinenten über Skype oder Videokonferenzen zu kommunizieren und zu arbeiten. Die Abläufe sind eingespielt und die Erfahrung hat die Beteiligten gelehrt, wo die Fallstricke – aber auch die Vorteile – liegen. Anderen Unternehmen ist es bislang noch nicht einmal in den Sinn gekommen, Skype oder Ähnliches professionell einzusetzen.  

Für die Produktivität spielt die Form (digital vs. persönlich) zunächst einmal keine Rolle. Vorausgesetzt, beide Formen werden unter den entsprechenden Rahmenbedingungen optimal ausgeführt. So macht es einerseits natürlich keinen Sinn, bei einem global verteilten Team ständig persönlich zu kommunizieren. Andererseits ist es kontraproduktiv, wenn Kollegen, die nur ein paar Meter voneinander arbeiten, sich meist nur über E-Mails austauschen. Nicht zu vergessen: die ineffiziente und völlig maßlose Meeting-Kultur, die in vielen Unternehmen leider weit verbreitet ist. Nicht selten verbringen Mitarbeiter 70-80 Prozent ihrer Arbeitszeit in Meetings, die weder eine konkrete Zielsetzung haben, noch ein konkretes Ergebnis hervorbringen.  

Damit kann man nicht grundsätzlich sagen, dass die eine oder die andere Kommunikationsform besser ist. Abhängig von den Rahmenbedingungen, der bestehenden Kultur und den zu besprechenden Inhalten, sollte man die richtige Kommunikationsform wählen – das kann persönlich aber auch digital sein.  

Quotation mark

Die Einführung von Software wirkt wie ein Katalysator für ohnehin notwendige Optimierungen.

Wie kann Software überhaupt dabei helfen, Teams effizienter zu machen? Was sind die größten Hebel, was ist nur ‘Kosmetik’?

Betrachten wir einmal eine typische Software-Einführung: ein Ticket-System für die IT-Abteilung. Die Software verspricht ein besseres internes Kundenerlebnis und eine schnellere und effizientere Abwicklung. Diese Wirkung ist tatsächlich am Ende auch meist festzustellen. Aber warum? Vor der Software-Einführung werden in der Regel die Prozesse und Strukturen so justiert, dass sie auf die Funktionsweise der Software passen – und nicht umgekehrt. Das heißt, vor der Einführung werden die internen Prozesse optimiert. Das hätte man auch eigentlich ohne die Software tun können. Die Softwareeinführung wirkt quasi wie ein Katalysator für eine ohnehin notwendige Optimierung. Selbstverständlich ist die Software damit nicht hinfällig. Denn nur sie liefert die notwendigen Funktionen, um die optimierten Prozesse auch wirklich effizient und produktiv in der Praxis abwickeln zu können. 

Die größten Hebel sind abhängig vom konkreten Einsatzzweck. Beispielsweise unterscheiden sich die Hebel bei einem Bewerbermanagementsystem in der Personalabteilung (Fokus: Zeit- und Ressourceneinsparung) von denen eines Customer-Relationship-Management-Systems im Vertrieb (Fokus: Transparenz, Umsatzsteigerungen). Typische Hebel (für eine Software-Lösung) liegen deshalb in der Regel bei der Automatisierung von wiederkehrenden Abläufen, der Steigerung von Transparenz sowie der Erhöhung der Qualität.  

Wie sollten Unternehmen vorgehen, wenn sie neue Software einführen?

Man sollte sich im Klaren sein, dass die Software selbst keine grundlegenden Probleme in den Prozessen, der Struktur oder der Kultur löst. Die Einführung einer Software bewirkt oft eine Kultur-Veränderung. Sie von oben nach unten einfach „durchzudrücken“ kann kontraproduktiv sein. Erscheint die Einführung einer Software betriebswirtschaftlich sinnvoll, gilt es zunächst einmal, die Führungskräfte und Mitarbeiter einzubinden. Transparenz spielt hier eine entscheidende Rolle. Warum erscheint eine Software sinnvoll? Was sind das Ziel und der Nutzen – für alle Beteiligten? Passt sie überhaupt zu den Strukturen des Unternehmens? Was denken die betroffenen Mitarbeiter? Vielleicht reicht ja zunächst einmal eine grundlegende Überarbeitung der Abläufe. Die eigenen Mitarbeiter sind dabei die besten Sparringspartner, da sie täglich erfahren, wo die Potenziale liegen.

Unsere Erfahrung ist, dass sich manchmal die Software-Hersteller, aber auch die Unternehmen hier zu wenig Gedanken machen. Der Fokus liegt für sie auf den Funktionen und möglichen Produktivitätsvorteilen. Die weichen Faktoren spielen häufig nicht die Rolle, die sie sollten.

Sind permanent miteinander vernetzte Mitarbeiter produktiver oder tut Abstand nicht auch mal ganz gut?

Vernetzung im Sinne von Transparenz, klarer Kommunikation, optimaler Abstimmung und gegenseitigem Teamwork ist immer besser. In einem globalen Arbeitsumfeld stirbt der Eigenbrötler aus – da er sich und dem Unternehmen schadet. Sofern man das Thema in Richtung „ständige Erreichbarkeit“ erweitert, vertrete ich auch eine klare Meinung: Hilfe zur Selbsthilfe. Man sollte nicht erwarten, dass andere sich um die eigene Selbstorganisation kümmern. Vielmehr sollte man es als eine Chance sehen, den Grad der möglichen Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten oder sogar zu erweitern. Da muss jeder an sich selbst arbeiten.

Herr Motzko, vielen Dank für ihre Zeit.