Aus dieser radikalen künstlerischen Geste heraus hat sich das Spiel mit der Zweckentfremdung von Gegenständen und Materialien als fast schon selbstverständliches künstlerisches und auch postmodernes Designprinzip entwickelt. Daraus ist wiederum ein modernes, mitunter ebenso radikales Verständnis von Recycling entstanden, das abseits der industriellen Realität zu ungewöhnlichen Ideen und Konzepten auch im Bauwesen geführt hat. Experimentelles Bauen mit Recyclingmaterialien hat bis heute zwar zu viel Bewunderung für die Initiatoren solcher Projekte geführt, aber noch kein wahrnehmbares Echo in der Branche ausgelöst. Dänischen Architekten ist es gelungen, das weltweit erste Einfamilienhaus nach modernsten Funktions- und Designstandards zu bauen, das nur aus Abfall besteht. Steckt hinter solchen Projekten auch eine realistische Option für die Zukunft? Wir haben uns für Sie schlau gemacht. 

Recycling – eine Problemzone der nachhaltigen Wirtschaft
 

Die grundsätzliche Idee hinter allen Auffassungen darüber, ab wann ein echter Recyclingkreislauf auch im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes zugrunde liegt, ist die Wiederverwendung von Abfall oder deren Inhaltsstoffen. Recycling kann – neben der „thermischen Verwertung“ durch die Betreiber von Müllverbrennungsanlagen – dreierlei bedeuten. Oft finden alle drei Bedeutungen von Recycling auch in engem Zusammenhang mit dem Begriff der „Nachhaltigkeit“ Verwendung:
 

  • Erneute Wiederverwendung eines alten Materials zum gleichen Zweck
  • Herstellung von Rohstoffen durch Wiedergewinnung von Inhaltsstoffen aus alten Produkten oder Materialien
  • Zweckentfremdung des Ursprungsmaterials oder Produkts zu einem anderen Produkt

Im erstgenannten Falle hätte man es mit einer jahrtausendealten Tradition zu tun, aus eingestürzten oder alten Gebäuden neue Gebäude zu errichten. Deren noch intakte Bausteine werden wiederverwendet. So gesehen ist die Baustoffindustrie schon seit Langem der Recycling-Idee verbunden. Noch heute gelangen gebrannte, noch intakte Ziegel wieder in den Markt und können für Neubauten wiederverwendet werden. Die Wiederverwendung von Bausteinen ist somit das älteste bekannte Recycling-Prinzip.

Im zweiten Falle, bei dem aus Abfallstoffen verwertbare Stoffe heraussortiert werden, um aus ihnen neue Rohstoffe zu gewinnen, wird zum Beispiel auch Bauschutt als Abfallprodukt eines Abrissgebäudes wiederverwertet. Hier ergibt sich das generelle „Downcycling“-Problem: Aus alten Textilien lassen sich keine neuen Textilfasern von hoher Qualität erzeugen, und aus Kunststoff-Abfällen kann nur Granulat hergestellt werden, das wiederum ausschließlich für relativ anspruchslose Alltagsprodukte taugt. Aus Bauschutt lassen sich keine hochwertigen, also buchstäblich auch konstruktiv tragfähigen Materialien erstellen. Die aus Erden, Mineralien, Staub, Glas und Zement bestehenden neuen Recycling-Baustoffe eignen sich in erster Linie für den Straßenbau. Es haben sich zwar einige Unternehmen auf das Brennen von Bauziegeln aus Ziegel-Abfallprodukten und Bauschutt spezialisiert. Bislang finden deren Recycling-Produkte allerdings – auch dank ihrer Porosität und damit schalldämpfenden Wirkung – eher im Leichtbau von Schallschutzwänden Anwendung. 

Wie nachhaltig können Recycling-Produkte höchstens sein?
 

Im Zusammenhang mit Baustoffen aus recycelten Baustoffen ergibt sich ein weiteres Problem: Die Nachhaltigkeit eines Produkts – also in diesem Falle eines Gebäudes – entsteht nicht in erster Linie durch die Verwendung von Recycling-Materialien, sondern durch seine ökologische und auch wirtschaftliche Gesamtbilanz. Die Zeiten, in denen Bauwerke „für die Ewigkeit“ errichtet werden, scheinen vorbei zu sein. Denn Nachhaltigkeit basiert im Gegensatz zur noch weit verbreiteten, aber irrigen Annahme nicht nur darauf, als wie wenig belastend sich ein Produkt für seine Umwelt bereits im Herstellungsprozess erweist. Nachhaltigkeit basiert seiner Kernidee nach auch darauf, wie lange ein Gebrauchsnutzen zur Verfügung steht. Wie lange muss ein moderner Neubau „halten“? Wie viele Generationen müssen von ihm profitieren dürfen?

Damit nähert man sich also direkt dem Dilemma der Recycling-Industrie. Denn ein Produkt, dessen materielle Substanz bereits den Qualitäts-Kompromiss eines Downcycling-Prozesses durchlebt hat, könnte den ersten Geboten der Nachhaltigkeit nicht standhalten: Stabilität und Dauer. Im Bauwesen halten sich daher sowohl die Produzenten von hochwertigen Baustoffen als Vertreter des Angebotsmarkts als auch die Bauträger nachfrageseitig skeptisch zurück. Zusammengefasst kann man sagen, dass in der Baubranche die Idee des Recyclings noch nicht angekommen ist. 

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Recycling nach dem Vorbild der Zweckentfremdung: mehr als nur ein künstlerisches Prinzip
 

Ausgerechnet die Künstler unter den Designern und Architekten führen aus dieser skeptischen Sackgasse heraus zu ganz neuen Ansätzen, ein kategorisches Upcycling auch im Bauwesen zu ermöglichen. „Upcycling“ bedeutet, dass eine ehemalige und nun als Abfall deklarierte stoffliche Verwendung in einem neuen Kontext eine tatsächliche Nutzenaufwertung erfährt. Statt der Verminderung von Stabilität und Qualität werden Qualitäten aus ganz anderen Kategorien für die baulichen Mindestanforderungen herangezogen. Durch eine Art Querwertung, bei der Altpapier als Dämmstoff, Windschutzscheiben von Autos als Fensterscheiben oder alte Glasflaschen zur Errichtung eines stabilen Fundaments genutzt werden, entsteht eine improvisiert anmutende, noch sehr verspielt-individualistisch geprägte Bauweise.

Aber sie funktioniert.

Sie ist überraschend kostengünstig und erfüllt alle Ansprüche an modernen Wohnkomfort. Je weniger Aufbereitungsprozesse notwendig sind, um Materialien direkt in eine Gebäudesubstanz einzubringen, desto überzeugender stellt sich dann auch die CO2-Bilanz dar: Bis auf den Transport und den baulichen Zuschnitt der Materialien musste kein Energieaufwand für ihre Herstellung betrieben werden. Die logistische Bereitstellung solcher Materialien, ihre Beschaffung und die Idee, es überhaupt auf diese Weise zu versuchen, sind bereits dem radikalsten Verständnis von Recycling-Prozessen überlegen. Dieses Verständnis, die Deponie, die nur “thermische Verwertung” und die aufwendige und energieintensive Aufbereitung zu einem neuen Sekundärrohstoff zu vermeiden! 

Wenn Altpapier in gepresster Form als Dämmstoff Verwendung findet, hat genau diese Transformation stattgefunden, die als „Upcycling“ ihre Berechtigung hat. Im Zuge der großen Bemühungen um globalen Klimaschutz werden Recyclingmaterialien im Bauwesen eine zunehmend größere Rolle spielen, weil der Trend zu einer ressourcenschonenden und nachhaltigen Kreislaufwirtschaft geht. Beispielsweise können nach Berechnungen des European Quality Association for Recycling (EQAR) durch ein konsequentes Recycling von Baustoffen und den damit vermiedenen Baustoff-Transporten bis zu 5 Millionen Tonnen CO2-Ausstöße eingespart werden. 

Nicht die Herstellung, sondern die Beschaffung von Materialien eröffnet neue Recycling-Perspektiven im Bauwesen
 

Es geht also – im wahrsten Sinne des Wortes – in den nächsten Jahren verstärkt auch an die Substanz. Das moderne Recycling hat seine Ursprünge in der Kunst: Direkte Transformation einer alten Anwendung in einen neuen Zweck – und sei es auch nur der Selbstzweck der Kunst.

Heute suchen Designer und Architekten nach Wegen, verbrauchte Materialien einer kreativen Querverwertung zu unterziehen.

Bausteine und Baustoffe aus Recycling-Materialien werden bereits in Serie produziert. Der nächste Schritt, dass auch „unaufbereitete Abfälle“ für das Bauwesen immer interessanter werden, ist nur folgerichtig. Das eingangs erwähnte dänische Vorzeigehaus besteht übrigens aus Wänden alter Schiffscontainer. Hier wurde vor allem im Bereich der Logistik und Beschaffung ein unkonventioneller Weg beschritten.