Bruchfeste Displays: eine Illusion?
 

Smartphone- und Tablet-Displays haben eine Schwachstelle: Sie sind anfällig für Kratzer und zerspringen oftmals schon bei kleinen Stößen. Dabei forschen Experten und Wissenschaftler seit Jahren an Oberflächen, die gegen Beschädigungen so resistent wie möglich sind. Bis dato mit eher geringem Erfolg - und so gehört das Bild zerkratzter Smartphone-Displays weiter zu unserem Alltag. Neu sind Oberflächen, die sich selbst reparieren. Auch hierbei hat die Forschung bereits vielversprechende Lösungen präsentiert, die allerdings für Displays nur bedingt infrage kommen. Selbstheilende Beschichtungen waren bislang nicht hart genug für den Praxiseinsatz auf mobilen Geräten.

Die Selbstheilungskräfte der Haut
 

Die Natur ist der Technik hier einen großen Schritt voraus: So hat die menschliche Haut die Fähigkeit, sich selbst zu heilen. Kleine Kratzer verschwinden innerhalb weniger Tage von selbst. Die Zellen der Epidermis, der oberen Hautschicht, werden nach einer Verletzung aktiviert und arbeiten daran, die entstandene Lücke zu schließen.

Die Natur als Vorbild
 

Ein Forscher-Team um Xiadong Qi am chinesischen Harbin Institute of Technology ließ sich nun nicht nur von den Selbstheilungskräften der Haut inspirieren, sondern schaffte es auch, eine Oberflächenbeschichtung zu entwickeln, die deutlich härter und fester ist als vorherige Lösungen. Der Clou der selbstheilenden Oberfläche aus Harbin liegt in der Nanotechnologie: Graphenoxid, ein auf Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff basierendes Nanomaterial, kommt zum Einsatz. Es bildet sich unter basischen Bedingungen aus Graphitoxid (Graphitsäure) und liegt in Flockenform vor. Bei dem Vorgang wird zunächst eine Schicht aus einem Polymer, einem weichen Kunststoff, auf ein Trägermaterial aufgetragen und diese Schicht mit einem weiterem Polymer überzogen, in das zuvor Graphenoxid eingebettet wurde.

Die winzigen Flocken des Graphenoxids ordnen sich auf dem weichen Kunststoff parallel zur Oberfläche an. Das Prinzip ähnelt dem der menschlichen Hornhaut: verhornte Zellen der Oberhaut sind in einen weicheren Zellverbund eingebettet und machen im Verbund die Haut resistenter gegen äußere Einflüsse. Die von Qi und seinem Team entwickelte Oberfläche aus weichen Polymeren und hornhautähnlicher Beschichtung reagiert ähnlich wie die menschliche Haut: Ritzt man die Oberfläche ein, erhält die weiche Unterbeschichtung aus Polymer Spiel und schließt den Kratzer. Die Graphenoxid-Moleküle folgen. Besonders bemerkenswert an Qis Forschungen ist, dass das Graphenoxid dem weichen Polymer die Härte von Zahnschmelz verleiht und damit die gesamte Beschichtung verhärtet.

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Die Welt der Nanomaterialien
 

Nanomaterialien zeichnen sich durch ihre extrem kleinen Einheiten aus, die zwischen 1 und 1.000 Nanometer liegen können. Ein Nanometer beträgt ein Milliardstel Meter. Nanomaterialien weisen somit eine besonders feine Struktur auf. Ein Beispiel ist die Oberfläche eines Lotusblattes, das durch ihre aus winzigen Einheiten bestehende Struktur Wasser einfach abperlen lässt. Auch verhorntes Gewebe besteht aus solchen fein strukturierten Elementen - was die Forscher rund um Qi zu ihrer womöglich bahnbrechenden Entwicklung inspirierte.

Besonders vielversprechend an Forschungen im Nanobereich sind die Eigenschaften, die Stoffe im Nanomaßstab entwickeln können. Die Teilchen agieren in kleinsten Einheiten nach völlig anderen Gesetzen: So kann Keramik mit einer Nanobeschichtung transparent oder Kohlenstofffasern können extrem reißfest werden. Auch die Polymere der selbstheilenden Oberflächen verhalten sich unter Einwirkung des Nanomaterials Graphenoxid ganz anders als üblich: Sie härten nicht nur aus, sondern schließen auf dem Trägermaterial auch Lücken und Kratzer.

Selbstheilende Oberflächen in der Forschung
 

An selbstheilenden Oberflächen wird seit Langem geforscht. Im Jahr 2009 etwa entwickelte das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) eine galvanische Beschichtung, der partikelgroße Nanokapseln hinzugefügt wurden. Bei Beschädigung der so beschichteten Oberfläche platzen die Kapseln auf und geben eine Flüssigkeit frei. Der Effekt: Der Kratzer wird binnen Sekunden gefüllt. Der Chemiker Junqi Sun von der Jilin-Universität in Changchun mischte 2011 aus verschiedenen Kunststoffen mit extrem beweglichen Molekularstrukturen eine wässrige Lösung, die Risse und Kratzer einfach durch Besprühen schließen sollte. Beide Entwicklungen waren zwar vielversprechend, scheiterten in der praktischen Anwendung auf Displays und Co. allerdings an der geringen Widerstandsfähigkeit.

Die Potenziale der selbstheilenden Oberflächen aus Harbin
 

Noch sind weitere Forschungen notwendig, um die von der Natur inspirierte selbstheilende Oberfläche auf mobilen Geräten einsetzen zu können. So lassen sich mit den Nanomaterial Graphenoxid zwar Risse und Kratzer zuverlässig schließen und es sorgt dafür, dass die Oberfläche zugleich extrem widerstandsfähig bleibt. Bislang ist die Mischung aus Polymeren und Graphenoxid jedoch nicht transparent genug, um Displays zu beschichten. Experimente mit weiteren Nanomaterialien könnten dieses Manko jedoch bereits in Kürze beseitigen. Dann gehören zersprungene Displays nach einem Sturz oder Kratzer, die in der Hand- oder Hosentasche entstehen, der Vergangenheit an. Und Qis Entwicklung hat weitere Eigenschaften, die sie für zahlreiche Zwecke interessant macht. Erste Versuche ergaben, dass die Beschichtung Bakterien abtötet und ihrem Wachstum durch ihre harte und vollständig glatte Oberfläche entgegenwirkt. So lässt sich die neue Entwicklung etwa auch für Medizinprodukte einsetzen.