Herr Sundermann, in den kommenden Wochen wird die Fußball-Europameisterschaft 2021 ausgetragen, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden musste. Sind Sie fußballbegeistert?

Ja, klar. Wenn man auf unsere Website geht, dann könnte man sogar denken, dass man bei einer Fußballberatung gelandet ist. Das ist natürlich kein Zufall: Auf der einen Seite bin ich mit Leib und Seele Fußballfan. Aber auf der anderen Seite können Sie einiges aus dem Sport auch in die Einkaufswelt transferieren.

Was haben Sie da vor Augen?

Zum Beispiel, mit welchem Spielsystem Sie heute im Einkauf unterwegs sind. So hat der Fußball in den letzten Jahren sich vom Kick-and-Rush-System weiterentwickelt zu einem individuellen Taktiksystem mit Sechsern, Doppelsechsern, falschen Neunern. Ebenso ist es im Einkauf. Der All-in-one Einkäufer ist nicht mehr state-of-the-art. Die Trennung in strategischen und operativen Einkauf gibt es auch schon mehr als zwei Jahrzehnte. Heute sind im Einkauf individuelle Rollenprofile gefragt.

An welche Rollenprofile denken Sie dort?

Da gibt es zum einen die Rolle des Advanced Procurement Engineers. Er bildet die Schnittstelle zur Entwicklung und ist als Vertreter des Einkaufs in die Entwicklungsprojekte involviert. Seine Aufgabe ist es, die Anforderungen der Ingenieure an den Einkauf aufzunehmen, mit den Entwicklern herstellneutrale Lastenhefte auszuarbeiten und gezielt Lieferanten im Sinne eines Open Innovation Prozesses einzubinden. Gerne sitzt der Advanced Procurement Engineer räumlich in der Entwicklungsabteilung bei seinen „Kunden“ und wird auch Forward Sourcing oder Projekteinkäufer genannt.

Also ein stärkerer Kundenbezug. Gibt es auch in Richtung Lieferanten neue Rollenprofile?

Ja, dort ist der Supplier Quality Engineer (SQE). Wenn der Großteil der Wertschöpfung von außen kommt, dann sollte der Einkauf auch eine eigene Verantwortung für Qualität gegenüber den Lieferanten haben. Das ist die Geburtsstunde des SQEs. Er kümmert sich um Sicherstellung einer geringen Reklamationsquote, führt bei Lieferanten (Produktprozess-)Audits durch und arbeitet mit diesen Maßnahmen zur Weiterentwicklung aus.

Welche Fähigkeiten muss dieser Supplier Quality Engineer mitbringen?

Der SQE sollte jemand sein, der gerne Troubleshooting macht und zwischen verschiedenen Parteien vermittelt, denn häufig sind die Anstöße seines Einsatzes schwerwiegende Reklamationsfälle oder permanente Lieferverzüge. Auch sollte er jemand sein, der gerne reist, da viele Probleme erst beim Lieferanten vor Ort gelöst werden können. Ich habe mal einen SQE kennengelernt, der Flugangst hatte. Der hat diesen Job nicht lange gemacht.

Aktuell ist Einkauf 4.0 bzw. Digitalisierung im Einkauf in aller Munde. Hat dieser Trend auch ein neues Rollenprofil hervorgebracht?

In der Tat. Wer in der Digitalisierung erfolgreich sein will, der braucht eine gute Datenqualität. Diese ist in vielen Unternehmen nicht gegeben und somit muss sich jemand mit der Aufbereitung beschäftigen. Das ist dann der Stammdatenmanager.

Man könnte diese Rolle auch ein wenig hipper „Procurement Data Analyst“ nennen, da der-/diejenige die internen und externen Daten im Einkauf analysiert, um Rückschlüsse für z.B. Einsparungspotenziale oder Dispositionsparameter zu ziehen. Ich greife aber gerne auf den „Stammdatenmanager“ zurück, da ein wesentlicher Teil seiner Aufgaben mit den Material- und Kreditorenstammdaten im ERP-System zu tun hat. Neben der Bereinigung der Stammdaten ist es wichtig, auch ein Datenkonzept festzulegen, welche Werte erfasst und in welchen Feldern welche Werte zugelassen werden. Gemäß dem Motto „Gib dem Freitext keine Chance!“.

Ist das nicht eher etwas für die IT?

Wer denkt, dass dies in die IT gehört, der kann sich weiterhin auf eine chronische Unterversorgung mit Analysen einstellen und von funktionierenden digitalisierten Prozessen im Einkauf nur träumen. Der Einkauf braucht eine eigene digitale Kompetenz. Sonst wird es nichts mit der Einführung von eProcurement-Lösungen oder Data Analytics und der Einkauf kann weiter in der Kreisliga spielen.

Herr Sundermann, wir danken für dieses Interview.

Frank Sundermann

Frank Sundermann ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Durch Denken Vorne Consult GmbH, die innovative Beratungsansätze bietet und Unternehmen bei der Digitalisierung im Einkauf unterstützt. Weitere Informationen finden Sie unter www.durchdenkenvorne.de.