Herr Prof. Dr. Augustin, wie weit ist das Lagermanagement in Deutschland im Jahr 2022 bereits auf Nachhaltigkeit ausgerichtet?

Neue Immobilien oder solche, die sich gerade in Planung befinden, orientieren sich beim Bau bereits stark an Nachhaltigkeitsaspekten. Die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) definiert im Bereich des Gebäudebaus hohe Standards hinsichtlich Ökologie, Ökonomie und sozialer Aspekte und zertifiziert auch Industriebauten und Lager danach: Es gibt Siegel in Platin, Gold, Silber oder Bronze. Je nach Gebäudetyp fließen bis zu 40 Nachhaltigkeitskriterien mit in die Bewertung ein. Und die höchsten Standards liegen deutlich über dem, was der Gesetzgeber heute fordert. Viele Eigentümer solcher Neubauten legen nicht nur wegen der besseren Energieeffizienz Wert auf eine bestmögliche Zertifizierung, sondern auch aus Marketinggründen, oder weil sich die Lager zertifiziert besser und teurer vermieten lassen.

Ein weiterer Aspekt ist die im Lager angewendete Automatisierungstechnik. Auch hier rechnet sich beim Neubau oft der Einsatz solcher Lagersysteme, die den CO2-Fußabdruck deutlich reduzieren. Bei Bestandsimmobilien gibt es in dieser Hinsicht jedoch noch erhebliches Potenzial, da Nachrüstungen in vielen Fällen wirtschaftlich oft nur schwer umsetzbar sind. Bei der Beleuchtung beispielsweise lassen sich noch relativ leicht Verbesserungen im laufenden Betrieb erzielen, im Bereich der Automatisierungstechnik wird es schon deutlich schwieriger: Die energieeffizientesten Motoren für Fördertechnik und Lagersystemantriebe sind beispielsweise sehr teuer, sodass sich ein Einbau oder Umbau nur lohnt, wenn die alten Motoren kaputtgehen und ein Ersatz angeschafft werden muss. Der Austausch funktionstüchtiger Motoren lohnt meistens nicht. 

In welchen Bereichen eines Lagers lässt sich denn im Wesentlichen ansetzen, um die Umweltbelastung zu verringern?

Betrachten wir ein Lager von außen nach innen: Da wären zunächst die Isolierungen der Gebäudehülle, Fenster und Wände. Hier lassen sich enorme Beträge an Heizkosten einsparen. Das Heizen verbraucht in Lagern in der Regel mehr als die Hälfte der Gesamtenergie, abhängig vom Automatisierungsgrad. Dann kommt es auf das Heizsystem an: Bei großen Anlagen ist der Einsatz von Erdwärme denkbar, unterstützt von Photovoltaik auf dem Dach. Es gibt sogar Unternehmen, die kleine Windräder auf ihrem Grundstück aufstellen.

Lager nehmen oft viel Raum ein, die Dächer sind flach – warum sind nicht längst alle Lagerhallen mit Solarpaneelen ausgestattet?

Die Statik der Gebäude muss dafür ausgelegt sein, bei Neubauten ist das zumeist der Fall. Deshalb werden Solarpaneele seit einigen Jahren auch vermehrt eingebaut. Die daraus gewonnene Energie lässt sich zum Großteil selbst nutzen oder ins Energienetz einspeisen. Vor zehn Jahren waren diese Paneele aber noch nicht mal halb so leistungsfähig wie heute und daher für viele Unternehmen wirtschaftlich nicht interessant.

 


Und wo lassen sich innerhalb des Gebäudes Nachhaltigkeitsgedanken verwirklichen?

Hier kann eine intelligente Klimatechnik mit unterschiedlichen Temperaturbereichen für große Einsparungen sorgen. Innerhalb eines Lagers gibt es Bereiche mit viel Personal, wie der Wareneingang oder der Versand, und solche, wo in der Regel nur Waren lagern. Nicht nur in der horizontalen Ausdehnung, auch in der Höhe. Und diese Flächen sollten nicht oder nur zu einem erforderlichen Minimum geheizt werden.

Darüber hinaus lassen sich auch in den Bereichen Förder- und Lagertechnik bei den energieverbrauchenden Einzelanlagen Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit umsetzen. Robotik und Automatisierung schreiten hier immer weiter voran. Ein Beispiel ist die Start-Stopp-Automatik, die Förderbänder dank Sensoren nur dann in Bewegung setzt, wenn auch wirklich Material befördert werden muss. Auch die Steuerung und Koordination von Regalbediengeräten kann optimiert werden, indem beispielsweise die entstehende Bremsenergie intern für andere Maschinen genutzt wird.

Welche Rolle spielt denn die Standortplanung eines Lagers hinsichtlich der Nachhaltigkeit?

Das kommt immer darauf an, wie das jeweilige Geschäftsmodell aussieht. Mehrere kleine, dezentrale Lager können sinnvoll sein, um Transportkosten zu sparen. Allerdings sind sie von der Energiebilanz und den Strukturkosten in der Summe oft nicht optimal. Derzeit wird bei der Standortbetrachtung allerdings weniger der CO2-Fußabdruck in den Fokus gestellt als der Kostenfaktor.

Ein Blick in die Zukunft: Sind Innovationen zu erwarten, die das nachhaltige Lagermanagement auf ein neues Level heben können?

Vor allem im Bereich der Fördertechnik und Logistikanlagentechnik werden ständig neue Innovationen auf den Markt gebracht, die nicht nur leistungsfähiger, sondern auch CO2-effizienter arbeiten. Und durch die steigenden Energiepreise werden solche Maschinen bei der Betrachtung der Lebenszykluskosten immer interessanter.

Gibt es politische Hebel, um das nachhaltige Lagermanagement zu forcieren?

Klimapolitisch gesehen ist unsere Energie eigentlich immer noch zu billig – doch natürlich lässt sich das schlecht verkaufen. Zudem macht noch teurere Energie den Wirtschaftsstandort kaputt. Beim Neubau von Lagerstätten sehe ich auch keine Notwendigkeit, politisch einzugreifen, da die Unternehmen von sich aus viel Wert auf Nachhaltigkeit legen. Um den Altbestand schneller zu modernisieren, könnte die Regierung durchaus Anreize setzen, beispielsweise in Form von Kredit- oder Direktförderung. Gerade der Mittelstand investiert lieber in Produktionsmaschinen, die mehr Umsatz versprechen, als in die Logistik. Daher sollte der Staat auch für den Logistikbereich eine positive und unterstützende Lenkungsfunktion übernehmen.