Auch wenn es bei vielen Unternehmen schon wieder aufwärts geht: Die meisten waren während der letzten Wochen von zurückgefahrener Produktion bei Zulieferern, Verkehrsstaus oder geschlossenen Grenzen betroffen. Herr Voutsas, hat diese Entwicklung Auswirkungen auf das Bestandsmanagement?

Richtig. Die meisten sind während der letzten Wochen und Monate von massiven Störungen der Lieferkette betroffen, was zur Folge hat, dass neue Wege gedacht und begangen werden müssen, auch bei den Beständen.

Was bedeutet das konkret?

Dass die Bedeutung eines soliden Bestandsmanagements dadurch erheblich in den Vordergrund gerückt ist. Schließlich binden Unternehmen ihre Liquidität durch ihre Lagerbestände. Denn: Ein systematisches Management der Bestände senkt den Kapitalbedarf und das Lagerrisiko vor allem dann, wenn es wieder aufwärts geht.

Was in der Theorie zunächst gut klingt.

Ja, in der Praxis ist das aber weniger einfach, da sowohl die programm- als auch verbrauchsgebundene Bedarfsplanung in der Krise an ihre Grenzen stoßen. Denn, egal ob die Planung produktionsbasiert oder periodisiert ist, im Krisenmodus werden Annahmen und Berechnungen in beiden Fällen vom Marktgeschehen so gut wie ausgehebelt.

Und was sollte man unter diesen Vorzeichen anders machen?

Es gibt einiges, das man tun kann. Sowohl, um mit Versorgungsunterbrechungen umzugehen, als auch, um für die Zeit danach gut vorbereitet zu sein. Ich empfehle, für alle Artikel einmal kritisch die Daten der jeweils festgelegten notwendigen Bestände zu überprüfen. Wenn möglich, sollten Artikel priorisiert werden, indem die Auftragsstücklisten der aktuellen und in den kommenden Monaten anfallenden Kundenprojekte dagegen gelegt werden.

Worauf muss bei der Analyse dieser Daten geachtet werden?

Wichtige Fragen, die man für sich beantworten sollte sind:
 

  • In welchen Fällen muss die hinterlegte Wiederbeschaffungszeit angepasst werden und wo machen ggf. Sonder-Losgrößen für kritischen Bedarf Sinn?
  • Sind Sicherheits- und Bestellauslösebestand im ERP trotz gestörter Nachfrage- und Zulieferprozesse überhaupt noch optimal?
  • Ergeben die jeweils hinterlegten Minimal- und Maximalbestände noch Sinn?
  • Oft muss auch die Auslösung automatisierter Nachrichten reaktiviert oder aktualisiert werden.
     

Ist es mit der Datenbereinigung dann getan?

Nicht ganz. Auch die vorgelagerte Bestellpolitik sollte gemäß der Beschaffungsplanung überdacht werden, indem ermittelt wird, ob die jeweilige Bestellmenge noch optimal ist. Überprüft werden sollte also auch, nach welcher Losgrößenformel von nun an vorgegangen werden sollte. Es tun sich zudem viele schwer, anzuerkennen, dass die regelmäßige Datenbereinigung kein Teilzeitjob mehr ist. Es ist ein Vollzeitjob.

Quotation mark
„Sofern möglich, sollte jetzt der Bestand hochgefahren werden, um auf den steigenden Bedarf vorbereitet zu sein, wenn die Wirtschaft wieder anzieht.“

Manos Voutsas, Durch Denken Vorne Consult GmbH

Was bedeutet das für die Lagerhalterung?

Gerade in der aktuellen Situation scheint Lagerhaltung sinnvoll. Sofern möglich, sollte jetzt der Bestand hochgefahren werden, um auf den steigenden Bedarf vorbereitet zu sein, wenn die Wirtschaft wieder anzieht.

Wie soll das von statten gehen?

Empfehlenswert wäre einerseits, dies als Konsignationslager zu machen. Ggf. kann der Lieferant aus Asien ein Zwischenlager in Asien aufbauen. Andererseits sollte jedoch auch eine Bereinigung der verschiedenen Lagerbereiche im eigenen Unternehmen durchgeführt werden. So lässt sich physischer Platz gewinnen, um für mögliche Zulagerung gewappnet zu sein.

Inwiefern?

Viele überlegen beispielsweise, als Konsequenz aus dieser Zeit ihre erst vor kurzem eingeführte Just-In-Time-Strategie zu überdenken. Sie erkennen, dass es sinnvoll sein kann, bis zu einem gewissen Grad Vorratshaltung zu betreiben und erhöhen hier gezielt den Lagerbestand, um Engpässe kurzfristig überbrückbar zu machen. Bei anderen macht im Falle bestimmter Artikel von nun an aber auch die Einführung des lieferantengesteuerten Bestandes Sinn (VMI).

Welches Fazit ziehen sie?

Bauchgefühl ist gut - Kontrolle ist besser. Es kann nur lohnenswert sein, sich in der aktuellen Situation mit dem Kontext von Nachfrage, aktueller Bestände und Bestellmengen auseinanderzusetzen. Denn bei allem Optimismus ist eines sicher: die nächste Krise kommt irgendwann. Aber sie können dann souverän auf sich ändernde Umstände reagieren und zeitnahe und krisensichere Entscheidungen treffen.

Herr Voutsas, wir danken für das Interview!