Weltweite Verteilung von Milliarden Impfstoff-Dosen
 

In Rekordzeit haben Wissenschaftler Impfstoffe gegen die Corona-Pandemie entwickelt. Schon bald sollen diese bereitstehen: Die von BioNTech und Pfizer entwickelten Vakzine werden in Deutschland wohl noch 2020 zugelassen, im europäischen Ausland sind die Stoffe teilweise schon genehmigt. Länder wie Russland, China und Bahrain haben bereits Impfstoffe mit Einschränkungen freigegeben und versorgen damit Teile der Bevölkerung.

50 Millionen Impfdosen wollen allein Pfizer und BioNTech bis Jahresende hergestellt haben. Der Wettbewerber Moderna kündigt 100 bis 125 Millionen Dosen seines Corona-Impfstoffs für das erste Quartal 2021 an. Gegen Ende des Jahres sollen dann mehrere Milliarden Impfdosen verschiedener Firmen global in den Impfzentren, Krankenhäusern und Arztpraxen verfügbar sein.

Nun müssen diese Impfstoffe „nur“ noch gekühlt und sicher an die Zielorte gelangen – doch das ist eine gewaltige Herausforderung: Noch herrscht viel Ungewissheit über die genauen Abläufe und Lieferketten.

Studie: Zusammenarbeit von öffentlichem und privatem Sektor als Schlüsselfaktor
 

Der Paketversand DHL hat zusammen mit McKinsey & Company eine Studie durchgeführt, die effektive und stabile Impfstoff-Lieferketten untersucht. Eine wesentliche Empfehlung der Autoren:  Für eine funktionierende und resiliente Versorgung mit medizinischen Gütern sollten Regierungen gemeinsam mit Partnern aus dem öffentlichen und privaten Sektor ein umfassendes System von Krisenstrategien und -strukturen im öffentlichen Gesundheitswesen etablieren. Konkret gehöre dazu:
 

  • ein Notfallplan,
  • ein Kooperationsnetzwerk,
  • eine starke physische Logistik-Infrastruktur
  • sowie eine IT-gestützte Lieferkettentransparenz.

Zudem müsse ein Krisenstab mit klarem Mandat eingerichtet werden, der sämtliche kritischen Aktivitäten kurzfristig umsetzt.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Impfstoff-Logistik

Produktionsorte
 

Große Mengen der Corona-Impfstoffe werden in Mitteleuropa hergestellt, vorrangig in Deutschland. So arbeitet BioNTech an einem Produktionszentrum in Marburg, wo ab Januar 2021 Impfstoffdosen hergestellt werden. Derzeit passiert das in Mainz und Idar-Oberstein. Curevac entwickelt seinen Impfstoff in Tübingen, Sanofi erwägt Frankfurt als Produktionsort und Merck will in Zusammenarbeit mit AstraZeneca in Darmstadt Vakzine fertigen. Auch ausländische Pharmaunternehmen könnten in Deutschland produzieren. Eine Fabrik in Belgien produziert derzeit schon das Serum des US-Pharmakonzerns Pfizer. Aber auch in den USA selbst sind Laborkapazitäten im Aufbau.
 

Internationale Verteilung
 

Wann wie viele Impfdosen wohin genau befördert werden müssen, stand Anfang Dezember 2020 noch nicht fest. Die exakten Anforderungen an die Lieferketten werden sich vermutlich erst Anfang 2021 konkretisieren. In der EU bestimmt ein Verteilungsschlüssel, welche EU-Länder wie viel Impfstoff bekommen.

DHL hat errechnet, dass etwa 200.000 Paletten-Transporte, 15 Millionen Lieferungen in Kühlboxen sowie 15.000 Flüge notwendig sein werden, um die globale Versorgung mit Corona-Impfstoffen gewährleisten zu können. In Deutschland und den angrenzenden Ländern wird die Impfstoff-Distribution hauptsächlich auf der Straße erfolgen, doch der Großteil der Nationen ist vom Flugverkehr abhängig. Die ersten mit Trockeneis gekühlten Impfdosen des Herstellers Pfizer haben in Spezialcontainern bereits den Atlantik mittels Frachtmaschinen überquert.

Doch Frachtflugzeuge allein können die Menge an benötigten Flügen kaum schultern. Normalerweise springen Passagiermaschinen ein, um durch zusätzliche Volumina für eine optimale Auslastung zu sorgen. Wegen der coronabedingten Reisebeschränkungen und dem damit verbundenen Einbruch des globalen Luftverkehrs sind diese Kapazitäten allerdings massiv eingebrochen. Viele Flugzeuge stehen auf Dauerparkplätzen. So wird die weltweite Verteilung der Impfstoffe zu einer noch größeren Herausforderung.

Verteilung in Deutschland
 

Die Lagerung und Impfstoff-Logistik sind Sache der Bundesländer. Die Bundeswehr wird die Prozesse allerdings unterstützen. Mobile Einsatzteams sollen die Impfstoffe deutschlandweit an gut 60 Standorte bringen. Von dort aus werden die zunächst geplanten rund 400 Impfzentren versorgt. Je nach Bevölkerungsdichte sind diese Knotenpunkte unterschiedlich verteilt: In Thüringen beispielsweise entstehen knapp 30, in Bayern rund 100. Bis Mitte Dezember soll die Infrastruktur stehen. Die Auslieferung zur Impfstelle richtet sich dann nach den aktuellen Bedarfen. Vermutlich werden mehrere Transporte pro Tag nötig sein, denn für jede Fahrt sind die Mengen individuell abzustimmen.

Transportunternehmen
 

Hierzulande übernehmen die Branchenführer Deutsche Post DHL, Fedex, UPS sowie Kühne + Nagel den Großteil der Transporte. Sie haben jeweils einen Pharma-Geschäftszweig und können gekühlte Transporte sicherstellen. Der Pharmaspezialist Trans-o-flex fordert für die Auftragsvergabe ein transparentes und faires Vergabeverfahren, das für alle Logistikspezialisten offen ist. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Transportbehältnisse
 

Vor dem Versand müssen die Impfstoffe in geeignete Behälter wie Glasfläschchen, Ampullen oder Injektionsspritzen abgefüllt werden. Erst dann können sie in Containern auf die Reise gehen. Allein in Deutschland werden auf einen Schlag viele Millionen Impfdosen verteilt. Für diese Mengen reichen die bisher zur Verfügung stehenden Spezialbehälter für den Transport jedoch nicht aus. DHL prüft derzeit, an welchen Standorten das Unternehmen seine diesbezüglichen Kapazitäten aufstocken kann und muss. Auch an Laborkühlschränken mangelt es noch. Die Produktion dieser aufwendigen und teuren Geräte läuft zwar auf Hochtouren, dauert aber seine Zeit.
 

Transportsicherheit
 

Kriminelle könnten versuchen, die Impfstoffe zu stehlen. So werden an den Impfzentren bereits Schutzmaßnahmen erarbeitet; das Großdepot der Vakzine befindet sich dort jeweils an geheimen Orten. Auch für den Transport sind Vorkehrungen gegen Diebstahl zu treffen. Spezielle Sicherheitstechnik wie GPS-Tracking und Sensoren können helfen. Außerdem sollten die Lkw jeweils mit zwei Fahrern besetzt sein, damit die Transporter nie unbeaufsichtigt sind. Die geplanten Routen dürfen nicht verändert werden und Ruhepausen sind nur auf bewachten Parkplätzen einzulegen. Schon haben Sicherheitsexperten eine Serie von Hackerangriffen entdeckt, die sich gezielt gegen die Logistik zur Auslieferung von Corona-Impfstoffen richtete.

Darüber hinaus müssen die Impfdosen in der gesamten Lieferkette schonend behandelt werden. Sendungen, die über konventionelle Sortiersysteme verschickt und an Ladestellen nicht sorgfältig behandelt werden, können leicht Schaden nehmen.

Kühlkette
 

Die meisten der zum Einsatz kommenden Impfstoffe müssen vermutlich dauerhaft gekühlt werden. Für viele Vakzine sind Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt üblicherweise ausreichend,  doch der Corona-Impfstoff von BioNTech beispielsweise darf eine Temperatur von minus 70 Grad nicht überschreiten. In Folge kann er weitere fünf Tage in speziell für diesen Zweck hergestellten Kühlschränken aufbewahrt werden. Nach dem Auftauen muss der Impfstoff innerhalb von etwa sechs Stunden zum Einsatz kommen, danach ist er untauglich.

Das stellt besondere Herausforderungen an die Logistik. Im Falle von BioNTech wird das Serum zunächst zu steril arbeitenden Apotheken transportiert, die den Impfstoff auftauen und spritzenfertig portionieren. Erst dann geht er an die Impfstellen. Impfstoffe ohne spezielle Kühlanforderungen könnten hingegen direkt von einem Zentrallager zu den Impfzentren vor Ort geliefert werden.