Noch mehr Qualität – und Verschwiegenheit

Einst war Deutschland in Sachen Stahl ein Mischproduzent. Simple Massen- und hochwertige Spezialstähle wurden also gleichberechtigt hergestellt. Diese Situation geriet schon in den 1980ern ins Wanken, als aufstrebende Nationen günstiger produzieren konnten. Und seit dem Jahrtausendwechsel wurde China nicht nur zu einem bedeutenden Stahlproduzenten, sondern dem Stahlgiganten.

2021 etwa produzierte das asiatische Land 1,03 Milliarden Tonnen Stahl. Das ist mehr, als die sieben nachfolgenden Nationen einschließlich der gesamten EU zusammengenommen fertigten (1,01 Mrd. t.).

Deutschland steht in dieser Liste auf Platz 8 und ist gleichsam der wichtigste Stahlproduzent der EU. Diesen Platz konnte das Land einnehmen, weil man hier zwischen den 1980ern und den 2000ern einen umfassenden Transformationsprozess durchlief.

Deutschland schaffte es, sich nahezu komplett von der Massenstahlherstellung zu verabschieden. Stattdessen wurde der Bereich der hoch- und höchstwertigsten Stähle massiv ausgebaut. Sowohl durch Entwicklungen im chemisch-metallurgischen Bereich als auch durch Normungen und nicht zuletzt Qualitätsoffensiven gelang es, eine äußerst hohe Güte sicherzustellen. Klasse statt Masse.

Dies funktionierte, weil China es nicht schaffte, eine ähnlich hochwertige Metallurgie zu entwickeln. Bis in die allerjüngste Vergangenheit musste das Land beispielsweise Düsentriebwerke aus Russland importieren. Ein wesentlicher Grund dafür: China konnte keine Hochleistungsstähle für Verdichterschaufeln und ähnliche Triebwerksbauteile fertigen. Dementsprechend waren genuin chinesische Triebwerke deutlich weniger fähig als solche aus anderen Staaten.

Heute allerdings beginnt sich dieses Blatt zu wenden:
 

  • China betreibt eine extreme Form von Wirtschafts- und Industriespionage. Erleichtert wird dieses Vorgehen, weil nicht zuletzt viele deutsche Unternehmen China als Absatzmarkt benötigen.
  • Chinas Entwicklungssektor ist gereift, wodurch selbst ohne „Informationsbeschaffung“ der Abstand zu anderen Staaten verringert wurde.
  • Das Land hat im aktuellen Fünfjahresplan explizit eine Qualitätssteigerung bei der Stahlproduktion festgelegt. Es möchte bei den Hochleistungsstählen dorthin, wo es bei Massenstählen steht.

Beides ist für die deutsche Metallindustrie eine Bedrohung ersten Ranges. Denn wenn der Qualitätsvorsprung verlorengeht, bleiben nur noch wenige andere Alleinstellungsmerkmale – die jedoch selbst von erfolgreichen Änderungen abhängen. Deutschland muss es deshalb gelingen, einerseits noch hochwertigere Metalle zu entwickeln und andererseits massive Wissensabschottung zu betreiben; naturgemäß primär gegenüber China.
 

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Eine erfolgreiche Wasserstoffwende und großserienreife Nutzungstechniken

Die Metallherstellung, und zu einem gewissen Teil ebenso die -verarbeitung, ist durch die Notwendigkeit enormer Temperaturen und entsprechender Energiemengen gekennzeichnet. Schon dieser Faktor macht es der deutschen Metallindustrie schon seit Jahren aufgrund der hiesigen Energiepreise schwer.

Angesichts dessen waren die weiteren Preisanstiege, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg, ein lauter Warnruf: Unter anderem die Lech-Stahlwerke in Bayern sowie die beiden Arcelor-Mittal-Standorte Bremen und Hamburg legten 2022 die Produktion still. Andere Unternehmen mussten Kurzarbeit anmelden.

Allerdings sind es nicht nur die Energiepreise: Insbesondere bei der Stahlherstellung ist es zwingend nötig, Sauerstoff (O2) aus dem Eisen zu reduzieren. Seit Jahrhunderten kommt dazu Kokskohle (= reiner Kohlenstoff, C) zum Einsatz. Just durch die Reduktion von O2 mit C entsteht jedoch CO2, also Kohlendioxid, und zwar in enormen Mengen.

Dadurch ist die Stahlindustrie gezwungen, CO2-Zertifikate zu erwerben, was wiederum die Produktionskosten weiter steigert – und das Endprodukt wiederum verteuert.

Wasserstoff kann hierbei eine Alternative sein, da er eine Direktreduktion ohne Koks ermöglicht. Dafür nötige Techniken befinden sich derzeit an verschiedenen deutschen Standorten im praktischen Testbetrieb. Jedoch: Um eine wirkliche Klimaneutralität sicherzustellen, muss dieser Wasserstoff mit regenerativ hergestellter Elektrizität erzeugt werden.

Zwar hat Deutschland mittlerweile eine nationale Wasserstoffstrategie entwickelt. Jedoch ist das Land noch weit davon entfernt, die Metallindustrie zuverlässig mit „grünem“ Wasserstoff versorgen zu können – zu entsprechenden Preisen.

Weiterhin hat die EU 2022 beschlossen, ab 2026 schrittweise die bislang solchen Herstellern bereitgestellten kostenlosen CO2-Zertifikate abzubauen. Stattdessen sollen Rohstoffimporte mit einer Steuer belegt werden. Ob es bis dahin gelingt, die deutsche Industrie auf Wasserstoff umzustellen und damit zu versorgen, ist die große Frage.

Dabei ist dieses Thema nicht nur hinsichtlich der Produktionskosten enorm wichtig. Die Option, als vielleicht einer von nur wenigen Staaten klimaneutral produziertes Metall anbieten zu können, dürfte künftig einen massiven Wettbewerbsvorteil bedeuten und damit einen Vorsprung sichern – etwa gegenüber China.
 

Mehr politisches Fingerspitzengefühl – und weniger Einmischung

Die von der EU beschlossene Steuer soll eigentlich die europäische Metallindustrie vor unlauterem Wettbewerb schützen. Sie zeigt jedoch, wie häufig solche politischen Vorgaben sich zu einem „Bumerang“ entwickeln können, der in der Praxis beträchtliche Nebenwirkungen mit sich bringt.

Dass die Metallindustrie nicht von Maßnahmen zum Schutz von Natur, Umwelt und Klima ausgenommen werden darf, steht dabei nicht zur Debatte. Für viele Mitglieder der deutschen Stahlbranche wirkt es jedoch so, als seien Teile der Regierenden sich nicht bewusst, wie wichtig dieser Industriezweig für die deutsche Wirtschaft ist.

Die Metall- und Elektroindustrie sind die mit Abstand umsatz- und beschäftigungsstärksten Industriezweige Deutschlands. Allein die Stahlindustrie erwirtschaftete 2020 etwa 32,1 Milliarden Euro (BIP insgesamt: 3,4 Billionen Euro) und beschäftigte 87.000 Personen. Insgesamt ist die deutsche Metallindustrie sogar der Arbeitgeber für eine Viertelmillion Menschen – von 41,6 Millionen Arbeitnehmern insgesamt.

Dem gegenüber, so scheint es vielen in der Branche, scheinen Teile der Politik nur auf den Themenkomplex Energieverbrauch und Schadstoffemissionen zu schauen. Für viele Metaller mangelt es zudem am Verständnis in der Bevölkerung. Dort würde die Branche ebenfalls nur aus Klimasicht betrachtet und oftmals als generell rückständig angesehen.
 

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Zukunftssichere Rohstoffalternativen zu Russland und Ukraine

Selbst, wenn man das Thema Energie, beziehungsweise Energieträger völlig ausklammert, so ist Russlands Feldzug gegen die Ukraine für die deutsche Metallindustrie ein Problem ersten Ranges.

Denn ganz gleich, wie lange der Krieg noch andauert und wie er ausgeht, bis zu einer Rückkehr zur Normalität werden noch viele Jahre vergehen. Das ist deshalb für die deutsche Metallbranche so problematisch, weil Russland und Ukraine bedeutende Handelspartner waren:
 

  • Russland: 
    Lieferte zuletzt zirka 45 % aller Steinkohle, 40 % aller Nickel-Importe, 25 % des Palladiums, 22 % des Chroms, 10% des Aluminiums, 7 % des Eisens und Kupfers und 6 % des Wolframs. Alles für die Metallherstellung buchstäblich lebenswichtige Produkte.
  • Ukraine: 
    Lieferte 29,5 % des Titans, 14,5 % der Titan-Eisen-Legierungen, 12,5 % des Roheisens und 11 % des Eisenerzes.
     

Die Schwierigkeit für Deutschland besteht darin, dass jeder mögliche Kriegsausgang ein Dilemma bedeutet, das sich nur hinsichtlich der Schwere unterscheidet. Würde Russland beispielsweise die Ukraine erobern, fielen beide Länder als Rohstofflieferanten aus. Selbst, wenn Russland diesen Waffengang verliert, wäre der deutschen Metallindustrie nicht viel geholfen:

Russland dürfte noch auf unabsehbare Zeit mit Sanktionen belegt werden. Selbst, wenn man die Produktionsausfälle durch personelle Verluste und die Umstellung auf Kriegswirtschaft ausklammert, fällt das Land deshalb für die mittel- bis längerfristige Zukunft als Lieferant aus.

Die Ukraine würde durch einen Sieg zumindest den Status quo ante bellum zurückerhalten; mitunter sogar die 2013/2014 verlorenen Gebiete zurückerlangen. Allerdings sind gerade die für die deutsche Metallindustrie relevanten ukrainischen Gebiete besonders vom Krieg betroffen. Ferner wird das Land ebenfalls Jahre benötigen, um sich von den Kriegsfolgen zu erholen – erneut ganz gleich, welche Partei obsiegt.

Die Zukunft der deutschen Metallindustrie hängt deshalb im Rahmen dieses Kapitels von zwei Dingen ab:

  1. Es muss gelingen, andere Handelspartner zu finden. Speziell bei den russischen Rohstoffen möglichst aus Nationen, die politisch weniger „brisant“ sind. Schlicht, damit auf absehbare Zeit nicht nochmals eine solche Situation eintreten kann, in der Deutschland auf diese Rohstoffe verzichten muss, um völkerrechtlich inakzeptables Verhalten zu ahnden.
  2. Die Alternativen müssen die Rohstoffe zu ähnlichen Konditionen liefern können, um die hiesigen Produktionskosten nicht noch weiter zu erhöhen. Das ist die eigentliche Schwierigkeit, dann Russland und Ukraine waren diesbezüglich die faktisch „günstigsten“ Handelspartner.

So oder so wird die deutsche Metallindustrie noch lange unter dem russischen Angriff zu leiden haben, weshalb der Feldzug eine besondere Qualität der Schwere bedeutet.
 

Eine industriepositivere Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik

2022 nahmen ganze 54,7 Prozent der relevanten Jahrgänge junger Menschen ein Studium auf. Egal, wie viele davon tatsächlich einen Abschluss machen, sie stehen somit nicht als potenzielle „anpackende“ Arbeitskräfte für die Metallindustrie zur Verfügung. Das ist bereits für sich allein ein enormes Problem. Es wird jedoch noch verstärkt, weil die derzeitigen Jahrgänge recht geburtenschwach sind, es also generell im Vergleich mit früheren Epochen nicht viele junge Nachwuchskräfte gibt.

Doch selbst unter denjenigen, die theoretisch und praktisch infrage kämen, wählen nur wenige den Weg in die Metallindustrie. Teilweise liegt dies am generellen Standing dieser Branche in Teilen der Politik und der Bevölkerung. Sie gilt vielen als wenig krisenfest und zukunftssicher. Dass überdies in der Industrie typischerweise Schichtarbeit eine zwingende Notwendigkeit ist, kommt noch hinzu.

Neben allen anderen Punkten ist es daher wichtig, die generelle deutsche Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik industriepositiver auszurichten. Bislang gehen fast sämtliche diesbezüglichen Maßnahmen von der Industrie selbst aus. Soll die deutsche Metallindustrie jedoch weiterhin ein so wichtiges Zugpferd für die Bundesrepublik und letztlich die gesamte EU bleiben, dann wäre es mehr als begrüßenswert, wenn die Politik hierbei helfen würde.

Allerdings handelt es sich hierbei um eine deutlich umfassendere Herausforderung. Denn es würde bedeuten, die generelle Tendenz hin zum Studium zu überdenken. Keine Frage, die moderne Metallindustrie benötigt eine Menge Nachwuchskräfte, die entsprechende Fächer studiert haben. Allerdings ist dabei der Mangel längst nicht so gravierend wie bei denjenigen, die letzten Endes den physischen Teil von Produktion und Verarbeitung besorgen.

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